Wenn Betroffene zu Forschenden werden
Das Franz Sales Haus in Essen steuert ein fünfjähriges Forschungsprojekt für Menschen mit Behinderung. Finanziert wird das Projekt zu 90 Prozent über den "Ausgleichsfonds für überregionale Vorhaben zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben". Projektleiterin Jill Backs koordiniert ein interdisziplinäres Team aus vier Partnerorganisationen – und hat der neuen caritas Einblicke gegeben.

Wie will ich arbeiten? Was möchte ich beruflich machen und welche Möglichkeiten habe ich eigentlich? Viele Menschen mit Behinderung erleben bereits bei der Berufsorientierung, wie Angehörige, Fachkräfte oder Institutionen über ihren Arbeitsweg entscheiden – von Selbstbestimmung ist dieser wichtige Prozess häufig noch weit entfernt. Das wiederum trägt dazu bei, dass trotz zahlreicher gesetzlicher Vorgaben die Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Für die Frage nach selbstbestimmter Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt hat das Franz Sales Haus auf Initiative von Stefanie Siebelhoff, heute Diözesan-Caritasdirektorin, mit der Sozialforschungsstelle der TU Dortmund, der Münster School of Design und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) eine fünfjährige Projektförderung bewilligt bekommen. Gemeinsam entwickelten sie das Projekt „Arbeiten – wie ich es will“. Jill Backs übernahm das Projektmanagement nach drei Jahren. Sie berichtet von den Herausforderungen, die das Projekt neben komplexer Koordination mit sich bringt:
„Ich musste loslassen von der Idee, nach 15 Jahren in der Berufsbildung und Eingliederungshilfe genau zu wissen, was das ,richtige‘ Vorgehen ist, um Menschen mit Behinderungen beruflich zu orientieren und integrieren. Durch die Zusammenarbeit mit den ,Social-Designer:innen‘ der FH Münster habe ich neue, explorative Forschungsmethoden kennengelernt – und eine Herangehensweise, in der ich nicht mehr die alleinige Expertin war.“
Betroffene als Forschende: der partizipative Ansatz
Im Sinne einer lebensweltorientierten Forschung verfolgt das Projekt einen konsequent partizipativen Ansatz. Menschen mit Behinderungen werden in den gesamten Forschungsprozess einbezogen – von der initialen Problemformulierung über die Entwicklung methodischer Zugänge bis hin zur kritischen Reflexion der Ergebnisse. In insgesamt 36 Co-Design-Workshops wurden unter der Leitung der Münster School of Design gemeinsam mit Beschäftigten der Franz Sales Werkstätten (WfbM) alltagsnahe Erfahrungen im Übergang von Schule zu Beruf sowie in bestehenden Beschäftigungen exploriert, die zeigen: Der allgemeine Arbeitsmarkt als berufliche Option ist wenig sichtbar für die Betroffenen, und familiäre Akteur: innen üben einen starken Einfluss auf biografische Weichenstellungen aus. Die Befunde bildeten die Grundlage, um neue methodische Formate zur inklusiven Berufsorientierung zu entwickeln.
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